Die ersten Tage mit dem Eversense CGM
Fünf Minuten, länger dauerte der Eingriff nicht, welcher mich zum Cyborg wandelte. Ab jetzt sitzt ein 8mm langer Eversense CGM Sensor in meinem rechten Arm und misst kontinuierlich meine Gewebeglukosekonzentration. Mensch und Maschine verschmilzt, wie es Ray Kurzweil in seinem Buch „The Age of Spiritual Machines“ prognostizierte. Oft trafen seine Prognosen nicht zu, aber in einem Punkt hatte er recht. Die Menschen fangen an sich Technik zu implementieren.
Cyborgs
‘Cyborgs’ nennen sich zum Teil die Künstler, die ihre Sinne erweitern und dadurch einzigartige Fähigkeiten besitzen. Das Wort Cyborg wurde 1960 zum ersten in einem Aufsatz von den Forschern Manfred E. Clynes und Nathan S. Kline verwendet. Sie schreiben, dass der Mensch sich an seine Umwelt anpassen müsse. Vor dem Hintergrund, dass die Menschen nicht auf der Erde leben, sondern im Weltraum, schlugen die beiden Autoren vor, passende Technik in den Körper zu verpflanzen.¹
Neue Diabetes Management Systeme, Insulin-Pumpen oder auch Messgeräte wie der Eversense Sensor (CGM), das Dexcom System (CGM) oder auch das Free Style Libre (FGM), übernehmen immer mehr Kontrolle über die Therapie und beeinflussen die Entscheidungen und das Handeln der Patienten enorm. Die Maschinen würden immer kleiner, allgegenwärtiger, unsichtbarer und dadurch zu einer tödlichen Gefahr werden. Die Kombination und das Geflecht aus Schrift, Macht und Technologie bestehe in der westlichen Welt seit jeher. Erst die Miniaturisierung habe alles von Grund auf verändert und mache die Automaten so machtvoll.²
Diabetiker haben sich durch die technologische Entwicklung in den letzten 30 Jahren von der Macht des Arztes distanzieren können, stehen aber jetzt in einem viel größeren Abhängigkeitsverhältnis zu der intelligenten Technologie selbst. Donna Haraway geht noch einen Schritt weiter und beschreibt: „[…] die moderne Medizin ist voller Cyborgs, Verkoppelungen aus Organismus und Maschine, in denen beide als programmierbare Geräte erscheinen, die mit einer Intimität und Macht miteinander verbunden sind, wie sie die Geschichte der Sexualität nicht hervorzubringen vermochte.“
Ohne Diabetes, würde es Technologien zur Überwachung des Blutzuckers vielleicht nie geben. „Anderskörperliche sind in dieser Logik privilegierte Subjekte einer Teleologie der technischen Erweiterung […]“, wie es Karin Harrasser in ihrem Buch Körper 2.0 ausdrückt. Des Weiteren wäre der ‚Human 2.0‘ nicht der fitte Superheld aus dem SiFi-Comic, sondern er wäre der „Behinderte, der mittels technischer Zusätze in eine neue Existenzform“ einträte.³ Körperliche Widrigkeiten wären keine Grenzen mehr, sondern Herausforderungen. Das wäre eine neue Auffassung des Menschen.
Bin ich jetzt der Human 2.0 in einer neuen Existenzform? Gar ein Superheld?
Momentan fühlt es sich viel mehr an wie ein Art Tamagotchi, welches in mir festgewachsen ist. Eine Symbiose — es hilft mir ich helfe ‚ihm’. Alle paar Stunden schreit es: „Kalibrieren“, „das Licht ist zu Hell“, „mein Akku ist fast leer“. Ich denke jetzt schon manchmal daran es einfach Mal nicht mit ‚Saft’ zu versorgen. Doch dann wiederum warnt es mich vor starken Glukoseänderungen, Unter- sowie Überzuckerungen. Also ein echter Lebensretter oder?
Aktuelle Pros & Cons (23. Juli 2017)
– Der Akku des Transmitter hält 30 Stunden
– Deshalb muss er jeden Tag neu augegeladen & plaziert werden
– Keine Echtzeit-Share-Funktion für Angehörige
– Lange Aufwärmphase (1Tag), ist aber im Vergleich zur Tragedauer von 90 Tagen okay
– Der Sensor kann nicht selber eingesetzt werden
– Kein ansprechendes User-Interface
– Die dauerhafte Bluetoothverbindung belastet den Akku des Smartphone
Das System wird schnell weiterentwickelt. Ich nehme an einige der Cons können mit Softwareupdates behoben werden.
+ Gute Hautverträglichkeit
+ CGM-Daten für drei Monate ohne Sensorwechsel
+ Wasserfest
+ iOS / Android Version & Apple Watch Integration
+ Alarme für Hypos und Hypers
+ Alarm durch Vibration am Transmitter direkt am Arm (auch ohne Smartphone)
+ Die größe des Transmitters hat mich bisher nicht gestört
+ Der Eingriff war harmlos
+ Die Freiheit das Pflaster / den Transmitter jeder Zeit abnehmen zu können
Screenshots der iOS Eversense App
- Biederbeck, Max und Tanriverdi, Hakan: Cyborgs Noch Mensch, bald Maschine (09.11.2013) unter: http://www.faz.net/aktuell/lebensstil/leib-seele/cyborgs-noch- mensch-bald-maschine-12645923.html#aufmacherOverlay
[aufgerufen am 23.07.2017 ] - Vgl. Donna Haraway Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen, S. 38
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Karin Harrasser: Körper 2.0, S. 18